Corona als Sündenbock

Erinnert sich noch jemand an die ersten Fernsehbilder aus den Nachrichten im Dezember 2019 in Wuhan? Hat man dort die Bürgerinnen und Bürger mit Lebensmitteln an den Fenstern versorgt oder hat man sie im Stich gelassen? War dort während des Lockdowns zum Jahresbeginn unserer Zeit auch die Rate der häuslichen Gewalt gestiegen?

Anatomisch, physiologisch und pathologisch sind fast alle Menschen gleich – abgesehen von einem Gen-Defekt, zum Beispiel. Aber ganz ohne Rassismus: andere Länder, andere Sitten. In anderen Ländern gibt man sich nicht per Handflächen die Hand. In anderen Ländern bedeuten Kopfnicken und Kopfschütteln jeweils das Gegenteil als bei uns.
Viele Länder der Erde sind derart religiös geprägt, dass die Menschen dort davon überzeugt sind, dass die Götter für die Ernte verantwortlich sind. Bei uns zelebriert man nur noch regional den Brauchtum des Ernte-Dank-Festes in Kombination mit einem Kirchgang, was von anderen schon wieder für den Ruf als „Nazi“ laut werden lässt.

>>Hi, wie geht`s dir?<<
>>Abstand halten!<<
>>Hallo? Wir kennen…<<
>>Bleib` weg!<<

Ja, und überhaupt schteint unsere Gesellschaft erst seit der Corona-Pandemie so richtig auseinander zu triften.
So manche Frau lernt jetzt erst ihren Partner richtig kennen. Vor der Pandemie war doch alles im Lot: jeder ist neben der Partnerschaft anderen „Interessen“ nachgegangen, in manchen Beziehungen auch gemeinsam. Man konnte einander ausweichen. Doch jetzt heißt es seit nunmehr 8 Monaten „Bitte Mund- und Nasenschutz tragen“, „Bitte nur noch so und so viele Personen pro Haushalt am selben Ort“. Während also vor der Pandemie jederzeit ein Ausweichen möglich war, ist man nun gezwungen, mit dem Menschen zu leben, mit dem man vorher eigentlich auch schon „liiert“ gewesen ist. Nun wurde aus dem „Spaß“ (oh ja: manche Menschen sehen eine Beziehung als gesellschaftlichen Status) im wahrsten Sinne des Wortes blutiger Ernst. War diese/r Partnerin/Partner vor der Pandemie auch schon so oder ist sie/er erst durch Corona so geworden?
So manches Kind im Kindergartenalter erkennt sich selbst kaum wieder – die Fähigkeit der Reflexion ist in diesem Alter eben noch nicht stark ausgeprägt. Deshalb sind Eltern und Erziehungsberechtigte in der Not, dem Nachwuchs zu erläutern, warum man momentan nur begrenzte oder gar keine Kontakte haben darf. Nicht jedes Kind hat dafür Verständnis, viele Kinder glauben nur das, was sie sehen, manche Kinder halten die Situation anscheinend für Schikane. Allerdings sind bereits während des ersten Lockdowns auch Kinder Opfer häuslicher Gewalt jeglicher Art geworden – entweder mochte die erziehungsberechtigte Person vor der Pandemie Kinder überhaupt nicht oder mehr als notwendig.
Viele Menschen haben seit Ausbruch der Pandemie mit der verpflichtenden Einsamkeit zu kämpfen. Darunter befinden sich ältere Menschen, die bereits vor der Pandemie in ein Heim abgeschoben und dann vergessen wurden, jüngere Menschen mit anderen Ursachen der Demenz, wie z.B. über Jahre andauernder Konsum von Rauschmitteln oder auch Menschen mit seelischer oder geistiger Behinderung.

Viele Medien sagen ja selbst, dass diese Pandemie eine Trendwende bedeuten kann. Im Zuge der Pressefreiheit und der freien Meinungsäußerung hat plötzlich mahezu jeder Nachrichtensender einen Virologen an der Hand – man fragt sich manchmal, wo die plötzlich alle her kommen und was die vor der Pandemie beruflich getan haben. Auch Moderatoren und Mitarbeiter aus Berufsgruppen ohne medizinischen Hintergrund sind plötzlich im Rahmen der freien Meinungsäußerung zu Hobby-Virologen geworden. Laut Medienaussagen haben wir jetzt, während der Pandemie, die Chance, Größe zu zeigen. Jetzt, während der Pandemie, könnten allerdings auch Medien Größe zeigen, indem sie das Wort in puncto Corona an die größten Medienanstalten des Landes übergeben konnten.

Fast alle Politiker nutzen die Gunst der Stunde, um aufzuzeigen, wie schlecht andere Politik machen und wie gut die eigene Partei angeblich ist, parallel dazu werden Bürgerinnen und Bürger gebeten, gemeinsam durch die Pandemie zu gehen.
Permanent wird verkündet, was man demnächst im Landtag bzw. im Bundestag vorschlagen wird. Permanent sprechen Medien – auch jetzt, während der Pandemie, davon, was möglich ist, und was nicht. Die Wörter Corona, Pandemie, Krise, Flickenteppich, und Hygiene-Konzept sind vermutlich zu den am häufigsten verwendeten Wörtern des Jahres 2020 geworden. In jedem unserer 16 Bundesländern werden seit Ausbruch der Pandemie immer wieder individuelle Regeln bestimmt, hinzu kommen ddie individuellen anderer europäischer Länder.
Manche Bürgerinnen und Bürger wissen allmählich nicht mehr, wem oder was sie noch glauben schenken sollen.

Die Beziehungen, die jetzt als zerbrochen erscheinen, waren vor der Pandemie auch schon kaputt – nur hatte man sich vorher damit arrangiert hatte, man hatte mehr Ausweichmöglichkeiten. Bereits während des ersten Lockdowns im März/April 2020 kamen die vielen (Selbst-)Lügen zum Vorschein, weil man seitdem mehr Zeit mit Menschen aus dem eigenen Hausstand verbringen muss.
Außerdem müssen seit dem ersten Lockdown alleinlebende Menschen mehr Zeit mit sich selber verbringen, wo man doch vorher einfach mal ins Kino oder in die nächste Kneipe gegangen wäre. Außer Fernsehen und Computerspiele fällt vielen nicht ein. Dabei ist doch der Rückzug eine gute Gelegenheit für geistige Nahrung, was man sowieso schon immer machen wollte – haben vorher jedenfalls viele behauptet. Ach ja…, was war das doch noch während der 1950er-, 60er-, 70er-, und 80er Jahre schön, als es noch kein Internet gab und wir uns vor lauter Langeweile die Köpfe eingeschlagen hatten…! Wir hatten damals drei Fernsehsender, bei Zimmerantenne mit Verstärker maximal fünf Fernsehsender: Erstes, Zweites, Drittes (und das nur regional), Sat1 und RTL. Manche hatten einen „Computer“ (C64 von Connodore oder Amiga 500), und das Internet wurde erst ab Mitte der 90er Jahre in Privathaushalten salonfähig.

Ob wir gemeinsam von unseren Mitmenschen lernen können, die in diesen schwierigen Zeiten noch stärker zusammengewachsen sind, bleibt fraglich.
Die Nachkriegsgeneration hatte es noch viel schwieriger. Anstatt Nahrung gab es Lebensmittelmarken. Schuhe gab es gar nicht – um Sandalen zu bekommen, hatte man Schuhe, die sowieso zu klein geworden waren, einfach vorne abgeschnitten. Spielhallen oder Imbissbuden kamen erst in den 1960er Jahren mit dem sogenannten „Wirtschaftswunder“.
Man könnte auch mit dem Internet von Menschen lernen, die zu anderen Zeiten viel schlimmeres erlebt und überlebt haben. Dafür müsste man aber zur Reflexion und zum Lernen bereits sein.
Viren existieren tatsächlich, auch wenn man ein einzelnes Virus nicht anfassen kann. Anfangs haben viele dem Coronavirus die Schuld gegeben – jetzt, in der dritten Welle – geben viele aus lauter Verzweiflung den Politikern die Schuld. Anstatt einfach mal vor der eigenen Haustür zu kehren. Gegen die Langeweile, sozusagen.

Lesen Sie auch meinen Beitrag „Was wir aus der Krise lernen können„.

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