ZW-Krimi: Einer von uns – Kapitel 1

»Hauptkommissar Feisel…!«, begann Kramer, der Leiter der Kölner Mordkommission, am Fenster stehend zu sprechen, nachdem er Feisels Akte studiert hatte.
Feisel schaute sich im Büro um und entgegnete: »Meinen Sie mich?«
»Sie sind ein guter Polizist. Nur leider viel zu gut.«
Kramer hatte bereits auf seinem Stuhl Platz genommen. Feisel runzelte die Stirn und sah Kramer fragend an.
»Ihre Aufklärungsrate..« Erneut wurde er unterbrochen.
»Ja…,«, begann Feisel zögernd. ».., stimmt. Ich arbeite noch an dem Fall. Aber sonst…«
»Ich darf Sie unterbrechen, Feisel, Sie sind anscheinend zu bürgernah.«
»Was heißt hier `zu bürgernah`?!« Er vollendete im Dialekt: »Kölle es ming Heimat, ich bin he jebore.«
»Das mag nur nicht jeder.«
»Wat es dann he loss? Mer kenne uns doch schunn e su lang…«
»Sehen Sie, Feisel…«, unterbrach Kramer und zeigte auf ihn. »Sie sind anscheinend zu verbohrt, zu festgefahren. Ihr letzter Kollege kam aus Norddeutschland, und dem hat ihre direkte Art gar nicht gefallen.«
»Wollen Sie mir jetzt vielleicht mitteilen, dass der Fall noch nicht gelöst ist, weil mein letzter Kollege mit meiner Art..«
Kramer schüttelte den Kopf. »Ich finde, Sie brauchen eine Abwechslung. Wenigstens für kurze Zeit. Mal raus hier aus all dem Schamassel. Mal was anderes sehen.«
»Und jetzt? Soll ich jetzt vielleicht Krabbenfischer werden?«
»Sie sind noch jung, haben das halbe Leben noch vor sich.«
Feisel musste grinsen. »Mit 52, und wenn ich mich recht entsinne, zehn Jahre jünger als Sie, Kramer.«
»Für Sie immer noch Herr Kramer.«
Feisel rollte die Augen.
»In Zweibrücken ist gerade eine Stelle frei geworden. Ich habe mich für Sie eingesetzt.«
»Was soll ich denn im Saarland?!«, lachte Feisel.
»Zu Ihrer Kenntnis liegt Zweibrücken an der Grenze zum Saarland. Also in Rheinland-Pfalz.«
»Und was passiert da so?«
Kramer reichte Feisel mit ernster Miene ein paar Seiten zum Lesen. Feisel nahm sie entgegen und runzelte die Stirn und begann zu lesen, während er Kramer zuhörte.
»Auf einen Kollegen von uns ist dort im Einsatz mit seiner Kollegin geschossen worden. Kriminalhauptkommissar Steiner und Kriminaloberkommissarin Schrader befanden sich in der Nähe eines Tatortes, an dem ein Mord begangen worden ist, zwischen zwei Häusern, die (er bewegte seine Hände von sich weg) von der Straße weg stehen. Steiner ist vorgegangen, die Kollegin Schrader hat gesichert. Kurz nachdem die beiden hinten angekommen sind, wurde aus mindestens zwei Fenstern auf beide geschossen. Schrader flüchtete den Weg zur Straße zurück, in der Hoffnung, dass Steiner ihr folgt. Den Rest können Sie sich denken.«
»Scheiße!«, flüsterte Feisel.
»Momentan ist die Kollegin Schrader in psychologischer Behandlung und selbstverständlich krankgeschrieben. Sobald sie wieder gesund ist, wird sie ihre Ausbildung zur Hauptkommissarin fortsetzen.«
»Und wann soll das sein? Ich meine…«
»Schnellstmöglich. Bis dahin werden Sie da unten zeigen, was Sie hier bei uns gelernt haben. Ich hab` Ihnen für die nächsten Tage ein Hotelzimmer in der Poststraße gebucht. Sie fahren heute noch da runter und melden sich morgen früh bei Kriminalrat Stoll in Zweibrücken.«
»Ach, doch so schnell?«
»Sie arbeiten seit Jahrzehnten erfolgreich in der kriminellsten Stadt von Nordrhein-Westfalen und gleichzeitig der zweitkriminellsten Stadt Deutschlands, das kriegen Sie hin. Außerdem sind Sie da unten nicht alleine, die Kollegin Schrader ist ansprechbar. Morgen früh erwarte ich Ihre Meldung. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.«
Feisel kommentierte zynisch: »Ich freu` mich schon auf Saarbrücken.«
»Feisel…! ZWEIbrücken. Viel Erfolg. Und kommen Sie gesund wieder.«
Mit einem verschmähten Grinsen verabschiedete er sich von Kramer und fuhr nach Hause. Nachdem er den Koffer gepackt hatte, fuhr er los.

Sein Navi prophezeite ihm eine Fahrtzeit von knapp drei Stunden ohne Zwischenfälle und führte ihn bei Bonn vorbei, und weiter über Mayen bei Koblenz. In der zur Mosel gelegenen Gegend, nahe Trier schaute er sich öfter als sonst wo um, weil überall Weinberge.»Lecker!«, sagte er zu sich selber. Auf der Autobahn bei Saarbrücken musste er schmunzeln, immerhin wäre er beinahe hier gelandet. Etwa 40 Minuten später verließ er mit der Abfahrt Bubenhausen die Autobahn, etwa weitere 20 Minuten später checkte er im Hotel in der Poststraße ein. Im Zimmer packte er aus und ging anschließend duschen.
Danach zog er sich andere Kleidung an und ging nach draußen, um beim Beine vertreten die ungewohnte Umgebung auf sich wirken zu lassen, vielleicht könne er Inspiration für künftige Ermittlungen geben, dachte er sich. Er schlenderte leicht schmunzelnd durch die Fußgängerzone. Er ließ den Dialekt der Passanten auf sich wirken, teilweise hörte er auch Russisch heraus. Seine Mine wurde manchmal ernster, wenn er in den Schaufenstern mancher Geschäfte „Zu vermieten“ oder „Zu verkaufen“ las. Er dachte im Stillen, dass die Arbeitslosenquote überdurchschnittlich hoch sein könnte, was für manche ein Nährboden für Kriminalität ist. Er fragte sich, ob es in Zweibrücken soziale Brennpunkte gibt oder ob die Kriminalität auf die ganze Stadt verteilt sein könnte, wie das in seiner Heimatstadt der Fall ist.
In seine Gedanken vertieft wäre er mit einem Passanten kollidiert. Mit einem freundlichen »`n Abend.« grüßte er den Mann. Dieser beachtete ihn im Vorbeigehen zwar nicht, grüßte ihn aber mit einem »Servus.«
Die Alexanderkirche, die er fotografierte, kommentierte er schmunzelnd mit »Na ja, fast wie bei uns.« Er fotografierte auch eine vor der Alexanderkirche sitzende Bronze-Statue, die dem Dienstmann Ludwig Arnold gewidmet ist, und die – so hat Feisel später erfahren – alle Zweibrücker mit dem Namen „`s Zweebrigger Luiche“ kennen.
Hinter dem Omnibusbahnhof hielt Feisel inne und machte mit seinem Handy vom Straßenschild ein Foto. Dies kommentierte er freudig mit »Wie niedlich. Bei uns gibt es den Heumarkt und den Neumarkt, und hier gibt es die (er trennte) Frucht-Markt-Straße.« Mit seinem Handy in der Hand folgte er dieser Straße bis zur Kreuzung. Dort hielt er einen Moment lang inne, überlegte und machte ein weiteres Foto. “Das muss eine der beiden Brücken sein, von der Autobahn ausgenommen“, dachte er sich.
Von dort aus lotste ihn sein Handy nach rechts auf die Kaiserstraße am Krankenhaus vorbei. Nach etwa 15 Minuten Fußweg fiel ihm das Straßenschild Poststraße auf, und befand sich nur wenige Minuten später in seinem Domizil.
Dort bestellte er sich bei einem Lieferservice eine Pizza, schrieb seinen Vorgesetzten eine Nachricht, dass er angekommen ist, und las den Tatbericht, den Kramer ihm mitgegeben hatte. Im Handy einen Überblick über das Gebiet und über den Tatort. Der Tatort befand sich in der Langentalstraße. Die Wohnblocks mit jeweils mehreren Hausnummern standen nach links von der Straße weg. Im ersten Wohnblock hatte eine Woche bevor der Kollege erschossen wurde, ein Mann seine Frau vergewaltigt und erdrosselt, die Kollegen Steiner und Schrader ermittelten auch in diesem Fall. Als sie im Rahmen der Ermittlungen den Tatort aufsuchten, wurden in den ersten beiden Wohnblocks Fenster geöffnet und auf die beiden Beamten geschossen. Der Kollege Steiner wurde mehrfach getroffen und verblutete noch am Tatort.
Es blieben Fragen offen. Was hatten diese Täter mit dem vorangegangenen Fall der Vergewaltigung und Erdrosselung zu tun? Woher wussten sie, dass Steiner und Schrader sich zum Tatzeitpunkt dort aufhielten? Wie viele Personen hatten aus wie vielen Fenstern geschossen? Die Spurensicherung sollte Aufschluss geben.
Feisel las den Bericht zu Ende, aß seine Pizza und ging schlafen.


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