Mörderische Profile – Über Stephan Harborts Bücher

„Opfer (das): n einer kultischen Handlung vollzogene Hingabe von jemandem“
– Zitat aus einem Wörterbuch –

Der Film „Das Schweigen der Lämmer“ im Jahr 1991 hat dazu geführt, dass in vielen Ländern der Erde Frauen und Männer eine Bewerbung an die Polizei geschickt haben, nicht um Polizistin bzw. Polizist zu werden. sondern um Profiler zu werden- Es ging also allein um Hannibal Lecter, dem man begegnen wollte. Nicht unbedingt dessen Darsteller, aber doch wenigstens seiner Figur.
Einige Jahre später startete im US-amerikanischen Fernsehen eine über die einzelnen kriminalistischen Abteilungen, die für einen Mordfal individuell erforderlich sind. In jeder dieser Folgen kommentieren auch deutsche Experten den gezeigten Hergang. Ermittelt werden dann zum Beispiel Brandspuren, ballistische Spuren, oder auch psychologische Profile. „Stephan Hatbort – Kriminalist und Autor“ wird er oft im Untertitel beschrieben. Er ist häufig zu sehen, wenn jemand mehrere aufeinander folgende Taten im selben Tathergang begangen hat, also mit immer wiederkehrendem Verhaltensmuster (lat.: modus operandi). Gemeint sind also Täter, die beispielsweise Frauen gestalked, sie vergewaltigt, ihnen Wunden zugefügt und Haare oder Kleidung als Trophäen mitgenommen haben.
Dass Harbort expertiert wurde, ist nicht von Ungefähr. Im Jahr 1964 in Düsseldorf geboren hat er nach dem Abitur bei der Polizei eingeschrieben und dort BWL, was er 1993 mit dem Staatsexamen abschgeschlossen hat. Weil ihm die alltägliche Polizeiarbeit mit der Zeit zu langweilig geworden ist, hat er nach einer Nische gesucht, in der sich noch niemand vorgewagt hat. Bis heute hat er etwa 30.000 Seiten an Polizeiberichten, Briefe von Serienmördern, forensischen Gutachten, Gerichtsurteilen gelesen, und den Begriff „Serienmord“ auch international mitgeprägt.

Harbort hat die Tathergänge in der Sendung so plausibel erklärt, dass man annehmen könnte, das Profiling sei doch etwas, was Jedermann könne – also gar nichts, was man gar nicht erst erlernen oder studieren müsse.
Das Hannibal-Syndrom war mein erstes seiner Bücher. In den ersten Seiten glaubte ich noch, die Filmfigur erkennen zu können. Einerseits war ich etwas enttäuscht, weil meine Vermutung nicht stimmte, andererseits aber war ich neugierig geworden, neues Terrain zu betreten. Entweder man steigt vorzeitig wieder aus, also klappt das Buch zu – dann aber ist man genauso schlau wie vorher auch. Liest man aber weiter, besteht die Gefahr, dass man etwas lesen muss, was man im Nachhinein nicht lesen wollte.

In Berichten Medien von einem grausamen Verbrechen heißt es manchmal „Der Täter hat alle Opfer über längere Zeit gefoltert und zu Tode gequält“, „Er soll bereits früher Tiere gequält haben“ oder „Er stand schon länger im Focus der Ermittler“ oder „Er befand sich schon einmal in einer psychiatrischen Einrichtung.“ „Wer verdammt tut sowas?“, fragen wir uns. Aber möchten wir es wirklich wissen? Derartige Meldungen stoßen bei vielen Menschen auf Empörung. Man ist sich aufgrund eigener Menschenkenntnis (nd manche auch aufgrund eigener Lebenserfahrungen) ziemlich sicher, über den Täter urteilen zu können. Wenn es dann auch noch heißt „Der Täter hatte eine traurige Kindheit“ fällt bei vielen der Deckel. „Jeder hat doch sein Päckchen zu tragen. Soll ich mal anfangen“ Bis dato ist oft überhaupt nichts darüber bekannt, weshalb der Täter ausgerechnet diese Person als sein Opfer auserweählt hat. Wieso die geschädigte Person dem Täter überhaupt vertraut hat, und auf welche Art sie ihm vertraut hat. Hat er sie mit Schlägen oder mit Drogen gefügig gemacht? Oder hat sie sich ihm etwa freiweillig hingegeben?
Wenn dann auch noch zu lesen ist, dass der Täter und das Opfer gemeinsam Sex-Parties gefeiert haben, dann sind viele enttäuscht. „Ach so!“…, heißt es dann, „Dann hat sie es doch gewollt!“. Es gibt Situationen, die man erst einschätzen kann, wenn man sie selbst erlebt hat. Beurteilen kann man nie, denn jeder Mensch empfindet anders, obwohl dasselbe erlebt.

Niemand ist daran Schuld, gefoltert und malträtiert zu werden. Niemand gehört irgendwem – per Gesetz nicht, und moralisch auch nicht. Sogenannte mündlich oder schriftlich vereinbarte „Sklavenverträge“, wovon im Internet immer wieder zu lesen ist, verstoßen rechtlich gegen die guten Sitten. Bei uns sind Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit die höchsten Rechtsgüter. Danach folgen Ehre und Eigentum.

Wieso eigentlich immer der Klassiker, in dem ein Mann einer Frau etwas antut? Sind Frauen etwa zum Töten nicht imstande? Sind Frauen zum Foltern nicht imstande? Was ist mit den Fällen, in denen Frauen foltern und töten, psychisch wie physisch? Dass Frauen eher die „Giftmischerin“ sind und Männer eine vermehrte körperliche Gewalt aufweisen, ist wohl der Klassiker schlechthin. Ausnahmen gibt es immer und überall.

Im Dunkeln ist es nur solange dunkel, bis jemand das Licht anmacht – genau das tut Harbort. In seinem mehr als 20 Büchern, Hausarbeiten und Referaten nimmt er uns mit, auf die Reise in die Seele von Serienmördern und in die Seele der Geschädigten, aber auch in die Gedanken der Profiler. Er zitiert aus den Briefen und all den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen. Nicht alles, aber das, was da steht, ist so gesagt oder geschrieben worden. Alles andere wäre Augenwischerei. Namen verfremdet er, denn es geht ihm um das mörderische Profil, und wie es zu den Taten kommen konnte. Gleiches gilt für das Ansehen der Geschädigten und ihren Angehörigen. Er beschreibt die Tatorte, das erlaubt ihm die künstlerische Freiheit. Die Fälle, die er erläutert, sind alle real gewesen.
In manchen der etwa ein Dutzend Kriminalsendungen, in denen er inzwischen Gastredner und Profiler gewesen ist, hat er auch ausschließlich mit den zurückgebliebenen Gefährtinnen von Serienmördern gesprochen. Was vermag wohl eine Frau zu denken und zu fühlen, wenn der Mann, den sie einst geliebt, und mit dem sie über Jahre Haus, Hof, und Tisch und Bett geteilt hat, andere Menschen zu Tode gequält hat? Wie erträgt man die teils überflüssigen Bemerkungen von außen und auch aus den einst nahen Umfeld, wie etwa „Das hätte ich dir vor 20 Jahren sagen können. Aber du warst ja blind!“ Und wieso eigentlich kann ein Mensch so blind sein? Wo hätte man bzw. Frau etwas merken können oder müssen?

Ein Psychopath besitzt insofern Einfühlungsvermögen, als dass er sich gedanklich in seine Opfer heinversetzen kann, um deren Vertrauen zu erschleichen, um ihnen zu Zeitpunkten, die er bestimmt, weh tun und sie ggf. töten kann. Empathie, das emotionale Verständnis, sucht man bei den meisten Psychopathen vergebens – es fehlt der Nutzen. Es gibt Psychopathen, denen man sogar als angenehme, flüchtige Bekanntschaft während eines Kneipenbesuchs begegnet. Manche Psychopathen sind auch in Führungsetwagen namhafter Firmen zu finden. Ein Soziopath besitzt noch nicht einmal diese Gabe. Ihm ist es egal, was sein Opfer, die geschädigte Person, empfindet.
Auch wir, wenn wir etwas neues hören, suchen nach etwas vergleichbarem, und wie auch wir auf Erfolgserlebnisse stolz sind und irgendwann der graue Alltag einkehrt, sind auch Serienmölrder gedanklich wie emotional stolz auf ihre außergewöhnlichen Taten. Nur mit dem bitteren Nachgeschmack, dass Mörder und Serienmörder ihre Taten nicht mit anderen teilen können. Und dennoch suchen viele Serienmörder ein offenes Ohr, in der Hoffnung auf Verständnid. Das habe ich Harborts Büchern entnommen.

Killerfrauen oder Der klare Blick heißen die Bücher, die ich bisher gelesen und rezensiert habe, Ich musste sie kaputt machen war für mich das bisher emotional schwierigste. Darin geht es um einen Mann, der in einfachen Verhältnissen aufgewachsen ist, mit seinen Eltern und seinen 5 Geschwistern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Er, Joachim Kroll, wurde stets klein gehalten, von seinen Eltern und seinen Geschwistern ausgelacht, als Versager betitelt. Sexualität war für ihn insofern selbstverständlich, dass man nicht darüber redet, sondern „es“ einfach macht – aufgeklärt wurde er ja nie. Kurzum: er ging früh von zu Hause weg, fand auch als Erwachsener immer nur Arbeiten als Helfer, hatte bei Mädels und Frauen ebenso wenig Erfolg, büchste oft aus, war viel auf der Flucht, und sein jüngstes und sein ältestes Opfer waren fünf und 64 Jahre alt. Es sollte die Leserinnen und Leser ermutigen, dass auch die Ermittler trotz Teamarbeiten zwischen den Interviews Atempausen benötigten.
Meine Rezensionen von Harborts Büchern in meinem Account in lovelybooks.de. Blut schweigt niemals wird mein nächstes Buch zum Rezensieren sein, dafür habe ich kürzlich Harborts gleichnamige Lesung besucht. Eventuell werde ich nach dem übernächsten Buch eine Art „Jubiäumsrezension“ bekannt geben, also eine Rezension für mehrere Bücher gleichzeitig.

Harborts Bücher sind unter anderem in Amazon erhältlich. Seine Webseite lautet www.der-serienmoerder.de.

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Lesung „Blut schweigt niemals“ mit Stephan Harbort.

Viele unter denjenigen, die ihn kennen, kennen ihn aus Fernsehsendungen für Kriminalistik. Eine diesr Sendungen stammt (wie viele andere dieser Art) aus den USA, wurde dort von den 1990er Jahten bis 2007 gedreht, und noch heute werden alle 145 Folgen im deutschen Fernsehen wiederholt.
Stephan Harbort zählt dort zu den Expertenanfragen aus Deutschland, wenn es um das Ermitteln von Täterprofilen geht. Spricht man ihn auf diese Sendungen an, in denen er um die Jahrtausendwende gedreht wurden – kommentiert er dies manchmal mit „Ach ja: das Gartenhemd besitze ich immer noch.“ Im Ernst: er ist während seiner Lesungen erfahren und professionell, dementsprechend auch sachlich, aber auch humorvoll und einfühlsam.
„Lesung „Blut schweigt niemals“ mit Stephan Harbort.“ weiterlesen

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